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Persönliche Beratung bei Essstörungen

Wir haben viele Patientinnen mit Ess-Störungen. Heute einmal ein Beispiel für eine Studentin mit Fresssucht, die bei uns in persönlicher Betreuung war und uns regelmäßig Emails schickte. Wir haben die Email ein wenig abgeändert, damit man die Frau nicht erkennen kann. Im Anschluss dann die Antwort eines unserer Therapeuten. Viele andere Esssüchtige werden sich vielleicht hier wiederfinden und das ganze mit großem Interesse lesen.

Hallo liebes Lavario -Team,

Ich habe mir letzten Samstag Ihr Programm zuschicken lassen und nun begonnen mit den Videos und der Aufgabenbearbeitung.

Ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll mit Ihnen Email Kontakt herzustellen, also falls ich irgendetwas grundsätzlich falsch mache, weisen Sie mich daraufhin.

Mir wurde gesagt, dass ich vor allem mit einer Person Kontakt halten würde. Deshalb beginne ich mich einfach einmal vorzustellen.

Ich heiße xxx, bin 21 Jahre alt und studiere. Ich wohne unter der Woche in einer Art Wohnheim und am Wochenende komme ich meistens nach Hause. Dort wohne ich bei meinen Eltern. Ich treibe gerne Sport, vor allem Joggen und Fahrradfahren (auf einem Spinningfahrrad), ansonsten habe ich eigentlich keine besonderen Hobbies.

Seit ich 13/14 Jahre alt bin habe ich vermutlich ein „Essproblem“. Damals habe ich extrem wenig gegessen und sehr viel Sport gemacht. Zu dieser Zeit war ich sehr dünn und man hat mir den Sport angesehen.

Irgendwann begann ich dann sehr unregelmäßig zu essen.  Eine Zeitlang sehr wenig und dann an einem Tag sehr viel und meist nur Ungesundes. Ich habe schon immer viel und gerne Sport gemacht, sodass ich nie übergewichtig war. Ich machte mir schon immer viel Gedanken um mein Aussehen und vor allem um meine Figur. Auch war ich schon immer ein sehr unzufriedener und launischer Mensch. Immer fehlte mir was und ich wusste nicht was es ist. Dies weiß ich bis heute nicht.

Nach dem Abitur wurde es dann immer schlimmer und ich hatte nur noch Gedanken ums Essen und vor allem ums Abnehmen. Ich habe dann so Späße gemacht, wenn man es wieder auskotzen würde…. Meist habe ich die Fressattacken mit Sport ausgeglichen und mit weniger essen an den darauffolgenden Tagen. Irgendwann habe ich mir solange ein Löffel in den Hals gesteckt, bis alles wieder herauskam. Anfangs war das ein tolles Gefühl, weil ich kein schlechtes Gewissen mehr haben musste und die Vorwürfe nicht mehr so schlimm waren. Nur schnell habe ich kapiert wie ungesund dieser Lebensstil ( so nenne ich das jetztmal) ist. Ich muss dazu sagen, dass ich mich nie täglich vollgefressen und übergeben habe. In den schlimmsten Zeiten waren es 3 bis 4 Mal in der Woche. Dieser Zustand hielt dann eine Weile an. Ich denke ich habe das jetzt schon 3 bis 3,5 Jahre. In dieser Zeit hatte ich auch längere Phasen bis zu einem halben Jahr in denen ich mich kaum übergeben habe. In anderen Phasen kommt es öfters vor. Im Moment halte ich mich bei 1 bis 2 mal im Monat.  Durchgehend ist allerdings, dass ich mindestens 1 mal in der Woche habe ein unglaubliches Verlangen nach Essen habe, vor allem Süßem und ich zudem insgesamt sehr unterschiedliche Portionen zu mir nehme. Mal wenig und mal sehr groß Portionen. Ich glaube es gibt Menschen die essen noch viel mehr, aber ich habe dann Bauchweh und ich habe ein empfindlichen Magen und sollte keine großen Portionen zu mir nehmen. Oft bekomme ich auch beim Essen dann so ein starkes Verlangen und ich denke ich kann einfach nicht aufhören zu essen und habe dann umso mehr „Hunger“. Ich kann auch nicht langsam essen. Es geht irgendwie einfach nicht.

Ich habe auch schon einmal eine Therapie angefangen, dort konnte ich aber nur 1 Mal im Monat hin und der Therapeut hatte es dann auch nicht mehr für Nötig gehalten mich weiter zu therapieren, da ich kein extremer Fall sei.

Ich sehe das allerdings mittlerweile anders, ich leide sehr unter meinem „Lebensstil“. Mein Leben ist geprägt von Angst und Furcht und Selbstvorwürfen und vor allem Selbstzweifel. Jedoch kann ich jetzt keine ambulante Therapie mehr machen und probiere es jetzt über Ihre entwickelte Methode.

Mir fällt auf, dass ich immer ein sehr starkes Verlangen nach Essen habe in oder nach Stresssituationen. Eigentlich immer wenn ich nach den Vorlesungen in mein Zimmer komme, könnte ich futtern. Ganz schlimm ist es wenn ich freitags nach Hause komme zu meinen Eltern. Eigentlich nur noch da kommt es dazu, dass ich mich erbreche. JEDESMAL wenn ich nach Hause komme könnte ich mich voll fressen und ich weiß es schon vorher und kann es einfach nicht ändern. Wieso ist dass denn jedes mal wenn ich nach Hause komme?  Ich verstehe dass einfach nicht!

Meine Eltern sind eigentlich cool. Meine Mama ist so eine richtige Mama. In meiner Familie drehte sich schon immer viel ums Essen. Mein Vater ist eher dünn und sportlich und fand meine Mama immer zu dick. Meine Mama bekocht alle und das Essen schmeckt auch echt lecker. Sie wollte glaube ich auch schon immer abnehmen., was sie letztens auch gemacht hat. Meine Schwester ist 3 Jahre älter und wirkt eigentlich super zufrieden so wie sie ist. Nur früher hat sie immer zu mir gesagt, ich sei stämmig oder so. Mein Bruder ist 2 Jahre älter und ist ein Bodybuilder, welcher auf extrem dünne Frauen steht. Er wohnt nicht mehr zu Hause. Er meinte auch früher schon zu mir ich sei zu dick um etwas anzuziehen. Von vielen Leuten musste ich mir schon so Sprüche anhören. Und als ich dann abgenommen habe, habe ich immer nur Komplimente bekommen. Das hat mich zum einen gefreut und zum anderen hat es mich auch ziemlich genervt.

Jetzt habe ich in groben Zügen meine Lebenssituation geschildert.

Ich habe schon viele Bücher gelesen mich auch etwas selbst therapiert, aber langsam kann ich nicht mehr, denn eine wirkliche Heilung ist bis jetzt nicht eingetreten und ich habe keine Kraft mehr irgendwie. Ich bin überhaupt nicht belastbar. Mir ist oft alles zu viel. Ich merke dass ich gefangen bin in meinen Gedanken. Ich denke sooo viel nach, immer immer wieder die selben Gedanken. Zum einen wie ich endlich mein „Problem„ los werde (vor allem wenn ich wieder Gegessen habe! / dies ist dann vor allem am Wochenende wie oben geschildert der Fall) und zum anderen habe ich furchtbare Angst vor den Auswirkungen. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich vermutlich selbst Schuld bin an meinen Allergien und an allem und dass ich irgendwann noch schlimmere gesundheitliche Schäden habe, wenn ich mein Problem nicht endlich in Griff bekomme. Das ist schrecklich! Ich kann es aber nicht abstellen- was kann ich denn da tun dagegen??

Was mich auch prägt sind Versagensängste. Ich hatte schon als Kind immer Angst vor Klassenarbeiten und mochte Druck nicht so. Ich habe ein gutes Abitur hingelegt und habe immer viel gelernt. Jetzt studiere ich und auch hier habe ich es oft sehr stressig und demnächst beispielsweise habe ich eine Prüfungsserie von 2 Wochen in der ich jeden Tag 2 Prüfungen habe. Dementsprechend muss ich sehr viel lernen.

Früher hatte ich wahnsinnige Angst vor Deutscharbeiten und jetzt habe ich ein andere praktisches Fach in der mein Körper komplett durchdreht. Ich fange dann an zu schwitzen und höre mein Puls im Ohr und fange an zu zittern.

Ich kann mit Druck und Stress nicht so gut umgehen und weiß nicht wieso, geschweige denn wie ich das wirklich ändern kann. Darüber denke ich auch nach.

Ich fange dann auch an zu Zweifeln, ob ich dass alles kann? Und ob das nicht alles zu viel ist? Und ob ich das schaffe? Ich habe teilweise dann so Horrorgedanken, was passiert wenn ich durch die Prüfung fliege und denke ich muss wieder von vorne Anfangen. Das Löst auch wieder Panik in mir aus

Ein weiterer Punkt ist auch, dass ich mir immer vornehme das noch zu machen und das und das. Ich habe das Gefühl ich muss ständig irgendetwas leisten und lernen. Wenn ich nicht lerne habe ich ein schlechtes Gewissen und wenn ich zu wenig Sport mache auch. Ich kann nicht Ohne. Das ist so ein Druck und ich mache mir viel Vorwürfe und kann mich nicht entspannen. Das ist ganz schrecklich. Das habe ich auch schon lange und vor allem in Prüfungszeiten ist das sehr intensiv. Das mit dem Sport ist durchgehend, weil ich ja auch immer abnehmen möchte.

Das nächste was mir auffällt ist, dass ich irgendwie in einer Art Traumwelt lebe. Ich habe  Tagträume und Vorstellungen. Meistens höre ich dann Musik. Das kann beim Sport sein, in Pausen, beim Autofahren oder vor dem Schlafen gehen etc. Ich stell mir dann immer vor wie ich PERFEKT aussehend irgendwo bin und Leute von früher treffe (zeitweise war es oft mein Ex-Freund, mittlerweile aber auch andere Situationen/ Personen). Alle finden mich dann toll, jeder steht auf mich und ich fühle mich wohl und bin glücklich und aufgeschlossen und selbstbewusst. Und vor alle bin ich DÜNN. IMMER DENKE ICH, WENN DU DÜNNER WÄRST, DANN …

-dann würden alle auf mich stehen

– dann wäre ich glücklich

– alles perfekt

Immer wieder und wieder kommt das, dass fängt morgens schon an. Mir ist es richtig peinlich, dass auf zuschreibe- aber es ist die Wahrheit.

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht was ein „normaler“ Mensch so denkt! Was denkt man denn so? Ich habe keine Ahnung. Ich schwenke zwischen meinen oben genannten Gedanken hin und her und fühle mich überhaupt nicht glücklich.

Ich habe durchaus  auch gute Laune, gerade wenn ich bei meinen Freunden bin. Wir lachen viel und haben Spaß. Es ist auch so, dass die Außenwelt mich als sehr selbstbewusst und laut wahrnimmt. Das habe ich jetzt schon öfters gehört und ich glaube das ist auch so. Innen drin fühle ich mich aber unsicher. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich an meiner Situation, an meinen Allergien Schuld bin. Immer wieder nehme ich mir vor nicht mehr zu Essen, das Leben LOCKERER zu sehen. Nur gerade der zweite Punkt- wie mache ich das??? Ich denke nun einmal unglaublich viel nach und weiß einfach nicht wie ich das abstellen kann. Dabei würde ich das so gerne. Es gibt oft Tage an denen ich richtig mies drauf bin und eigentlich gar nicht weiß was los ist. Ich habe dann schlechte Laune und mir ist alles zu viel. Ich sehe dann keinen Sinn in nichts und alles nervt mich irgendwie. Wenn so ein Tag kommt tritt mein „Problem“ dann auch oft auf. Kann man denn dagegen was tun?

Hierzu muss ich sagen, dass ich schon immer sehr unzufrieden war. Dabei habe ich eigentlich alles. Meine Eltern sind echt großzügig und ich habe keine finanziellen Probleme. Sie ermöglichen mir viel. Aber schon als Jugendliche wollte ich ins Ausland und dann doch wieder nicht und ich hatte einfach schlechte Laune und war unzufrieden mit mir und meinem Leben OHNE das ich Gründe nennen könnte. Das ist jetzt immer noch so. Ich weiß dann auch oft gar nicht wo der Sinn liegt in allem.  Ob ich den richtigen beruflichen Weg gegangen bin. Ich zweifle dann und oder bin einfach mies drauf und alles ist zu viel. Kann man dagegen was machen? Ich halte das nicht mehr aus und bin ratlos.

In letzter Zeit habe ich auch das Gefühl, dass alle meine Freundin ein Leben haben nur ich nicht. Zum Beispiel alle haben einen Freund oder irgendwelche Verehrer und ich irgendwie nicht. Ich verstehe nicht warum mich keiner anspricht? Alle sagen mir ich sei echt hübsch und verstehen meine Zweifel an mir gar nicht.

Zum Beispiel finde ich einen Dozenten von mir toll, welcher allerdings sehr viel älter ist wie ich. Die ganze Zeit stelle ich mir vor, wie ich ihn anschreibe oder anspreche und ihm meine Handynummer gebe. Der Gedanke kommt ständig. Aber ich getraue mich sowieso wieder nicht. Der Gedanke allein stresst mich und dann denke ich wieder jetzt machs doch und dann wäge ich wieder Vor- und Nachteile ab.

Anstatt vielleicht einfachmal drauf los etwas zu machen OHNE nach zudenken.  Ich kann das aber nicht! Wieso ist das denn so?

Ich habe schon oft überlegt, dass mein Problem auch darin liegt, dass ich Stress so abbaue. Wie ich oben schon beschrieben habe, passiert mein „Problem“ auch oft nach einem Arbeitstag oder wenn ich eben Freitagnachmittags nach Hause komme (hier ist wirklich mit das größte Problem!) Ich bin dann wie fremdgesteuert. Ich kann mir dann vornehmen erst eine Runde Joggen zu gehen, dass funktioniert einfach nicht. Ich habe auch schon viele Methoden ausprobiert. Aber in dem Moment kann ich dann nicht meditieren oder mich ablenken. Das geht irgendwie einfach nicht.

Gibt es da keine Tricks die ohne großen Aufwand schnell und einfach funktionieren wie man sich entspannen kann?

Was mich auch noch beschäftigt ist, ein anderes Hobbie außer Sport. Ich dachte mir könnte dies vielleicht helfen. Mir fällt aber einfach nichts ein. Ich habe früher viel getanzt und dass hat mir Spaß gemacht, mittlerweile habe ich hierzu allerdings keine Möglichkeit mehr. Ich schaue auch nie TV. Zum lesen muss ich mich zwingen. Das bedeutet für mich auch nicht die „Erfüllung“ . Ich bin dann irgendwie auch wieder ratlos und frustriert, weil mir nichts einfällt und ich denke ich kann nichts. Und dann denkt man umso mehr nach (zum Großteil die oben genannten Sachen).

Oft nehme ich mir auch vor, am Wochenende machst du das und das. Und dann cancel ich es wieder und sitz nur zu Hause rum und schotte mich zu Hause ab. Ich denke dann immer du musst noch lernen, Sport machen, da du Prüfungen hast etc.. Ich mache mir sonst nur Vorwürfe.  Ich weiß dann auch (wie jetzt in diesem Moment) dass genau das falsch ist, aber ich kann es nicht ändern! Ich verkriech mich dann.

Außerdem meide ich oft auch Treffen mit alten Bekannten, weil ich Angst habe, dass ich nicht „gut“ bzw „ gut genug aussehe“ und dann geredet wird. Ich denke immer nimm noch ein bisschen ab oder mach das, bevor du dort hingehst. Ich will irgendwie dass mich jeder toll findet. Ich glaube ich wollte schon immer überall gut sein und vor allem hübsch.

Ein zentrales Problem liegt denke ich auch darin, dass ich gar nicht weiß wer ich eigentlich bin und was ich genau will. Ich hinterfrage immer alles. Ich wirke nach außen sehr selbstbewusst und laut, bin innerlich aber sehr sensibel, was sicherlich viele nicht denken. Was bin ich jetzt von beiden? Dann zeihe ich mir sehr gern schick an, schminke mich und fühle mich dann auch wohler. Aber oft gammel ich auch wirklich nur zu Hause rum und habe dann nur schlabber Pullis an und bin ungeschminkt. Ich weiß nicht, wo ich mich jetzt eigentlich wieder finde, Das zieht sich durch viele Lebensbereiche. Ich will halt immer alles richtig machen und erfolgreich sein. Wenn was schief läuft denke ich, hättest du doch …. oder wieso hast du nicht….. Ich suche immer die Schuld bei mir.

Wenn ich das so hinschreibe und durchlese wird mir wieder bewusst wie „krank“ das alles ist, aber genau das geht in mir vor und niemand hilft mir irgendwie. Ich weiß ich muss mir selbst helfen, aber ich weiß nicht wie ich das machen soll. Ich denke ja schon nach und denke aber ich komme einfach zu keiner Lösung für meine Probleme =(

Ich habe das oben genannte ja schon alles erkannt, aber ich weiß einfach nicht wie ich mein Leben ändern kann.

Ich soll mich selbst mehr lieben- aber wie geht’s das???

Ich habe schon viele Ansätze gelesen, teilweise auch schon ausprobiert, aber immer wieder komme ich an den Punkt, wo ich mich fressend wieder finde und irgendwie immer noch unzufrieden bin. Ich weiß einfach nicht wie ich das Alles Umsetzten kann, damit ich auch wirklich glücklicher bin. Ich nehme mir dann wieder etwas vor, das klappt dann vielleicht auch ein paar Tage, aber dann auch wieder nicht mehr und ich falle in alte Denkweisen und Muster zurück.

Vielleicht analysiere ich mich auch zu sehr? Ich bin es leid gefangen zu seinen in mir selbst, mich nicht zu mögen und mich verändern zu wollen und daran immer zu scheitern und mich dadurch noch mehr zu verabscheuen und in Vorwürfen zu versinken und das Gefühl zu haben sein Leben zu verpassen. Und trotzdem kann ich es nicht ändern. Können sie mir helfen?

Ich bedanke mich schon jetzt und  freue mich auf eine Antwort von Ihnen die mir hoffentlich weiterhilft.

PS: Ich habe die E-Mail nur grob auf Rechtschreibfehler überprüft und bitte um Verzeihung, falls viele Fehler vorhanden sind.

Liebe Grüße

XXX

 

Hallo XXX,

ich bin Michael aus dem Therapeutenteam und werde Sie in den nächsten Wochen oder Monaten begleiten, wenn Sie Emails schicken. Ich schreibe bewusst Wochen oder Monate, denn wichtig ist zunächst einmal, dass Sie sich ausreichend Zeit lassen. Das Programm ist zwar offiziell auf 8 Wochen ausgerichtet, aber letztendlich ist es völlig egal, ob Sie es in 8 Wochen oder 8 Monaten oder auch 8 Jahren durcharbeiten. Wichtig ist nämlich, dass Sie es durchARBEITEN. Arbeiten heißt nicht nur lesen, sondern vor allem die Übungen nutzen und sich ausreichend Zeit lassen, um bestimmte Dinge auch sacken zu lassen, auszuprobieren, nochmals darüber nachdenken usw. Dass Sie viel schreiben – Ihre Mail war die längste erste Mail, die ich je erhalten habe, ist schon einmal ein gutes Zeichen. Sie sind nicht schreibfaul und das ist wichtig für die vielen Übungen der nächsten Zeit. Denn in den Übungen geht es darum, über sich selbst nachzudenken und die Erkenntnisse auch aufzuschreiben. Das Aufschreiben ist wichtig, denn nur was geschrieben ist, gilt auch 😉   Außerdem hilft das, wenn Sie über bestimmte Dinge erneut nachdenken, dass Sie dann nicht wieder von vorne anfangen, sondern da weitermachen können, wo Sie zuletzt aufgehört haben. So kommen Sie mit der Zeit immer tiefer, kommen voran, machen Fortschritte.

Denn die Fortschritte machen SIE durch Reflektion, durch Nachdenken über oft recht provokante Fragestellungen. Wir geben Ihnen ja letztendlich meist nur die Fragen. Die Antworten finden SIE. Dadurch, dass Sie die persönliche Beratung gewählt haben, haben Sie natürlich jetzt die Chance, bei Zweifeln und Fragen auf uns bzw. mich zuzukommen.

In den kommenden Wochen werden Sie sehr viel Neues über sich lernen. Sie werden aller Voraussicht nach viele Zusammenhänge in Ihrem Leben, in Ihren Einstellungen und Ihrem Verhalten erkennen, die Ihnen bisher gar nicht bewusst sind. Das sich BEWUSST werden ist ein ganz entscheidender Fortschritt, denn wenn Ihnen etwas BEWUSST ist, kann es Sie nicht mehr aus dem Unterbewusstsein steuern. Dann tun Sie weniger häufig Dinge, die Sie eigentlich gar nicht tun wollen. Nehmen wir das Beispiel das freitags nach Hause fahren, von dem Sie geschrieben haben. Sie wissen ja bisher nicht, warum Sie genau dann so schlimme Attacken haben. Würden Sie es wissen, könnten Sie entgegensteuern. D.h. entweder kämen die Attacken gar nicht mehr so oft, weil sie die Ursachen der Attacken kennengelernt haben und bestimmte Dinge in Ihrem Leben verändert haben. Oder Sie wüssten, was die Auslöser für die Attacken sind und würden diese vermeiden. Oder Sie wüssten, was die Auslöser für die Attacken sind und würden anders mit ihnen umgehen. Zum Beispiel (Beispiel!) könnte es so sein: Auslöser ist der Stress, dass Sie jetzt zu Ihren Eltern fahren. Die Aussicht, dort zu sein, wo Sie behütet aufgewachsen sind, wo Ihre Eltern auf Sie warten, die so hohe Erwartungen in Sie haben, das alles weckt vielleicht besonders starke Schuldgefühle in Ihnen, dass Sie so schlecht sind, es nicht hinkriegen. Vielleicht Gedanken wie: Wenn die wüssten (die Eltern) , was ich im Geheimen veranstalte… Das ist nur EIN Beispiel für einen möglichen Auslöser. Das sollte jetzt nicht heißen, dass es bei Ihnen so war. Ich wollte nur ein Beispiel geben.

Manche Menschen mit Essstörungen haben besonders große Probleme, wenn Sie mit den Eltern zu tun haben, weil sie früher körperlich oder seelisch missbraucht wurden. Das ist ein weiteres Beispiel für einen möglichen Auslöser. Und wenn sie alleine sind, nicht mehr bei den Eltern, nehmen die Attacken ab.

Bei anderen Patienten ist es anders. Einsamkeit ist oft ein Auslöser, Konfliktängste, Ängste in anderen Situationen (z. B. Prüfungsangst) und viele weitere.

Im Programm wird es auch genau darum gehen: um mögliche Auslöser, wie man sie erkennt, wie man anders damit umgeht. Aber das kommt erst viel später, ich glaube, in Woche 5 oder 6. Denn solche Dinge gehören zu dem, was man in der Psychologie kognitive Verhaltenstherapie nennt. Es gibt zwar Therapieansätze, die nur darauf setzen, aber aus unserer Sicht reicht das nicht aus. Solche Ansätze können zwar kurzfristigen Erfolg bringen (genau wie die Sofort-Tipps aus der ersten Woche – das gehört auch zur Verhaltenstherapie), aber für den langfristigen Erfolg ist es viel wichtiger, sich selber viel besser kennenzulernen und Dinge aus dem Unterbewusstsein nach oben zu holen, damit sie nicht länger das eigene (verhasste) Verhalten steuern. Das wiederum gehört zur Psychoanalye.

Um Sie jetzt nicht mit Theorie zuzutexten: Konkret heißt das, Sie sind noch nicht so weit, dass Sie all die Antworten finden auf die Fragen, die Sie gestellt haben. Sie werden sie finden, aber Sie müssen sich dahin vorarbeiten. Klar stellen Sie jetzt am Anfang des Programms alle möglichen Fragen, die Sie in den letzten Jahren oft beschäftigt haben, aber versuchen Sie in den kommenden Wochen, sich in erster Linie mit den Fragen auseinanderzusetzen, die wir Ihnen im Programm in der jeweiligen Woche anbieten. Das ist jetzt gar nicht als Kritik gemeint, ich versuche nur, zu erklären, wie das Programm konzipiert ist.

Eines schon mal vorneweg. Ich bin kein Freund davon, jungen Frauen einzureden: ihr seid ok, auch wenn ihr dicker seid, es kommt auf die inneren Werte an, akzeptiert es, wenn ihr mehr Gewicht auf die Waage bringt und hört mit dem Vollstopfen auf etc. Nein. Ich denke das zwar, aber ich halte es nicht für zielführend, jungen Frauen oder Mädchen das einzureden, wenn sie selber davon überzeugt sind, dass das nicht stimmt und das es besser wäre, X Kilos weniger zu wiegen. Was viel wichtiger ist, ist folgendes: Ganz ganz viel Frauen denken ja genauso, also dass sie eigentlich weniger wiegen sollten, haben aber KEINE Essstörung. Warum ist dies so? Wieso haben diese Frauen keine Essstörung (obwohl sie eigentlich das gleiche möchten wie Sie) und Sie aber schon? Das herauszufinden, ist eine wichtige Aufgabe in den nächsten Wochen. In vielen Übungen werden Sie sich dieser Fragestellung nähern. Je mehr Sie über sich herausfinden, desto mehr wird es Ihre ENTSCHEIDUNG sein, wie Sie leben wollen und wie Sie sich ernähren wollen. Im Moment ist es das ja nicht, denn Sie sind ja durch Dinge gesteuert, die in Ihrem Unterbewusstsein ablaufen, entscheiden das also nicht wirklich selber. Insofern ist es übrigens auch ungerechtfertigt, sich selber Schuldgefühle einzureden, denn Sie können ja nur sehr bedingt etwas dafür, wenn Sie Dinge tun, die Sie eigentlich gar nicht wollen.

In dem Zusammenhang auch das, was Sie über die Schuldgefühle schreiben. Klar machen Sie sich Schuldgefühle, das ist in Ihrer Situation das Natürlichste der Welt. ABER: führen Sie sich bitte auch vor Augen, dass eine Sucht genau nach diesem Schema funktioniert. Je mehr Sie sich Schuld geben, je schlechter Sie sich fühlen, je mehr Sie sich schämen, desto mehr werden Sie auch zum Vollstopfen und Erbrechen rennen, um sich kurzfristig Befriedigung zu verschaffen und um die negativen Gefühle (kurzfristig) durch etwas Befriedigendes zu verdrängen. Das führt dann natürlich zu neuen Schuldgefühlen, und so kommt ein negativer Kreislauf in Gang, den Sie im Laufe der nächsten Wochen und Monate durchbrechen müssen. GANZ vereinfacht gesagt heißt das: akzeptieren Sie erst mal, dass Sie ein Problem haben, dafür aber nur sehr bedingt was können. Je weniger Schuldgefühle Sie haben, desto weniger werden Sie Fressattacken “brauchen”. Hört sich einfach an – ist es natürlich nicht. Aber je länger Sie das Programm durcharbeiten, umso mehr wird Ihr Denken hoffentlich in diese Richtung gehen und das ist dann wiederum EIN Faktor, der dazu führt, dass Sie weniger Heißhungerattacken bekommen.

Lockerer zu werden… ja, das nehmen sich viele vor. Ein anderer zu werden… Das geht aber häufig nicht. Wir sind nun mal so, wie wir sind. Klar, kann man auf einer Lockerheitsskala von Null bis Zehn von zwei auf drei aufsteigen, aber wohl kaum auf 7 oder 8. Jedenfalls nicht einfach so in ein paar Monaten. Das wäre Selbstverleugnung, Selbsttäuschung. Auf einen 10-Jahreszeitraum gesehen schon, aber man kann seine Persönlichkeit nicht einfach so auf die Schnelle ändern. Vieles von dem, was Sie schreiben, ist typisch für die meisten Menschen, das hat nichts mit Essstörung zu tun. Selbstzweifel, nicht locker genug sein, Ängste, viel Grübeln, nicht wissen, wie man am besten den tollen Typen anspricht… Ich sehe da etwas in Ihnen, was eine ganz tolle Voraussetzung für großen Erfolg ist. Sie scheinen ziemlich zu “powern”. Sport, Abitur / Studium, Nachdenken und Selbstanalyse (das ist für mich auch eine Form von Powern, denn andere hängen in der Zeit vielleicht nur ab). Jetzt der entscheidende Punkt: Wenn Sie all diese Energie in die richtigen Bahnen lenken, können Sie irgendwann große Zufriedenheit in Ihrem Leben erreichen. Viele Menschen haben nicht so viele Energie wie Sie. Hinzu kommt ja auch noch die Energie, die Sie in Ihr Essverhalten und in die Schuldgefühle stecken. Es wird in einem späteren Teil des Programms um neue Lebensvisionen, neue Lebensziele und das Herunterbrechen dieser Ziele auf neue Alltagsaktivitäten gehen. Darin sehe ich in Ihrem Fall ein Riesenchance. Aber auch das erfordert noch ein bisschen Vorbereitung. Es macht keinen Sinn, das jetzt sofort an den Anfang zu stellen. Das gehört ebenfalls zur Verhaltenstherapie. Aber Sie werden deshalb nicht unbedingt LOCKERER. Würden Sie einfach nur lockerer, wäre all die Energie, die Sie haben, trotzdem noch da, und wenn Sie sie nicht (produktiv!) einsetzen, wären Sie erneut unzufrieden. Aber LOCKERER werden Sie dann vielleicht, weil Sie dann sehen, dass Sie Ihre Energie dann in neue, zu Ihrem Leben passende Aktivitäten investieren. Und wenn es dann später im Programm um Lebensziele und neue Aktivitäten im Alltag geht, dann werden damit auch viele der Dinge behandelt, die Sie jetzt schon in Ihrer ersten Email schildern: dass Sie nicht wissen, ob Sie auf dem richtigen beruflichen-/Studium – Weg sind, dass Sie keine richtigen Hobbys haben, dass Sie einerseits eine Menge Spaß mit Ihren Freundinnen haben, andererseits aber auch oft denken, Sie hätten als einzige kein richtiges Leben etc.

Wichtig wird für Sie aber sein, dass Sie geduldiger mit sich umgehen und sich REALISTISCHE Ziele setzen. Irgendwo im Programm heißt es, dass wenn Sie sich ein sehr ehrgeiziges Ziel in hundert einzelne Schritte unterteilen, dann können Sie es auch erreichen, weil den ersten winzig kleinen Schritt, den schaffen Sie, den schafft jeder. Und den zweiten dann genauso, denn der ist wieder ganz winzig. Und so weiter. Und irgendwann sind Sie am Ziel. Das hört sich jetzt vielleicht trivial an – aber das ist es ganz und gar nicht. Denn 99% der Menschen beherzigt diese, an und für sich einfache und leicht nachvollziehbare Wahrheit trotzdem nicht und setzt sich stattdessen Ziele, die man am besten morgen schon erreichen möchte. Und dann kläglich scheitert und sich blöd und unfähig vorkommt. Oder man geht die Ziele erst gar nicht an, weil sie so unrealistisch erscheinen. Wenn man sie hingegen in ganz viele kleine Schritte unterteilt, WERDEN sie plötzlich erreichbar. Warum schreibe ich dies an dieser Stelle? Weil SIE ja auch am liebsten alles (oder zumindest vieles) an sich ändern möchten. Sie KÖNNEN auch vieles an sich ändern, aber erwarten Sie keine Wunder von sich oder von dem Programm. Sie werden Ihre Persönlichkeit nach 8 Wochen nicht DRAMATISCH verändert haben, aber Sie werden einen RIESENschritt gemacht haben, falls Sie innerhalb dieser 8 Wochen unter anderem verstanden haben, WIE Sie auch in den nächsten 8 Monaten und in den nächsten 8 Jahren weiter an sich arbeiten und so Schritt für Schritt dahinkommen, wo Sie z. B. in Ihren Tagträumen gerne wären.

Setzen Sie sich realistische Ziele. Kleine Schritte. Lieber jede Woche ein ganz klein wenig Veränderung akzeptieren und dann in eine positive Spirale nach oben kommen als sofort alles zu wollen und sich dann genau so wiederfinden, wie Sie es am Ende Ihrer Email beschreiben: Sie halten ein paar Tage durch und finden sich danach doch wieder fressend wieder und wissen nicht, was Sie noch machen sollen. Verstehen Sie den Unterschied zwischen diesen beiden Ansätzen? Aber wie gesagt, oder besser : wie geschrieben ;), dazu kommen wir später im Programm noch ganz ausführlich.

Soweit erst einmal. Ich hoffe, ich konnte Ihnen schon nützliche Denkanstöße vermitteln. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall schon einmal von Herzen alles Gute für die nächsten Wochen (und Monate)!

Bis demnächst

Michael vom Lavario-Team